Holy Gravel – Die dritte Etappe

Der Wecker klingelt wieder um 6 Uhr. Da bin ich mindestens schon 30 Minuten wach. Ich muss unheimlich dringend für kleine Bikepacker – will aber nicht aus dem warmen Schlafsack. Lohnt sich doch gar nicht. Ich spiele sogar mit dem Gedanken Josh zu wecken, damit wir aufbrechen können. Der Unruhig-Tobi ist also auch schon wach. Mit tiefen zen-mäßigen Achtsamkeitsatmungen schaffe ich es aber stillzuhalten. Was tut man nicht alles für so einen Partner in Crime!

Beim Klingeln schäle ich mich prompt aus dem Schlafsack und schlüpfe in meine kurze Thermal-Radhose und ziehe die Beinlinge an. Über den Merino-Baselayer, den ich die komplette Tour nicht ausziehen werde, kommt mein schickes kupferfarbenes Merino-Langarmtrikot: Das Auge fährt schließlich mit.

Die Umgebung, ein riesiger Rasenplatz, Autohöher-Parkplatz und die dänische Schule sind menschenleer. So können wir die Wurstbude bequem ausleuchten und unsere Sachen in die Bikepacking-Taschen stopfen.

Unser erstes Ziel ist der nördlichste Punkt des Holy Gravel – Fleckeby – dort gibt es eine Tankstelle. Und was das für eine ist – uns fallen die Augen aus, als wir dort ankommen. Dort gibt es einen Tisch mit Stühlen, Strom und bevor wir uns setzen fragt uns die freundliche Angestellte, ob wir denn schon mal was wünschten: „Jeder einen Kaffee“ kommt die direkte Antwort. Wir setzen uns ein Aufenthaltslimit von 30 Minuten.

Nach zwei Franzbrötchen geht es hoch motiviert weiter. Dass es ab Mittag viel regnen soll ist uns ziemlich egal. Wir haben das Ziel fest vor Augen und sind uns sicher, dass wir es heute schaffen werden. Doch es soll leider teilweise anders kommen.

Nach ca. 20 Kilometern wollen wir in den Brekendorfer Forst einbiegen – da raunt mir Josh gepresst zu „Schau mal da rechts!“. Dort steht ein stattlicher Hirsch im Nieselregennebel auf einem Acker, läuft auf den Waldweg – keine 20 m genau vor uns und verschwindet dann im Unterholz. Das war dann aber auch das Schönste, was dieser und der nächste Forst für uns zu bieten hat. Denn ab jetzt geht es in kleinsten Schleifen durch Wald mit ordentlich hoch und runter. Es nieselt die ganze Zeit und der Boden ist sehr weich – Schlamm überall.

Als wir ein recht nobles Hotel erreichen hat Josh seinen dritten Platten der Tour. Damit ist er unglücklicher Gewinner des goldenen Schlauchs! Herzlichen Glückwunsch nochmal an dieser Stelle. Das Gute: Hier gibt es eine öffentliche Toilette. Sie ist angenehm warm, so dass ich mir viel viel Zeit beim Händewaschen lasse.

Nach 10 Kilometer verlassen wir diese zwei aneinander grenzenden Forstgebiete. 10 Kilometer. 80 Minuten haben wir für diese 10 Kilometer benötigt, inklusive Panne.

Nach 40 Kilometern erreichen wir den Nord-Ostsee-Kanal. Endlich einfach mal rollen und versuchen die Knie zu entspannen. Die schmerzen mittlerweile doch recht intensiv – zeitweise konnte ich gar nicht mehr im Stehen fahren. Hier rächt sich meine ungeeignete Übersetzung für höhenmeterreiche Langstreckenfahrten. Aber auch der Kanal hat eine mentale Herausforderung für uns parat: Es geht nämlich 23 Kilometer wieder nach Osten – Richtung Kiel. Abbiegen tuen wir erst an der Kanalfähre Landwehr – hier ist der zweite offizielle Fotospot, wo die Veranstalter sich eine Fotografie von uns erbeten haben.

Jetzt geht alles ganz schnell. Für mich. Bereits in diesem endlos Forst musste ich meine Scheibenbremsen nachjustieren, das sie nicht mehr richtig fassten. 10 Kilometer hinter der Fähre muss ich, anstatt scharf rechts abzubiegen, geradeaus weiterrollen und komme erst nach etlichen Metern zum stehen. Dabei wird mir schmerzlich klar, dass dies mein Ende ist. Ohne Bremsen die letzten 180 Kilometer zu fahren wäre absolut unverantwortlich.

Josh und ich umarmen uns. Und ich wünsche ihm eine gute Weiterfahrt – er mir ein gutes Heimkommen. Das geht dann erschreckend schnell. Wir sind bis Felde gekommen. Hier bin ich in nicht einmal 10 Minuten am Bahnhof, wo direkt die Sonne herauskommt als ich mein Fahrrad parke. Danke Ironie! Ins Gesicht…

Der Zug bringt mich 15 Minuten später nach Rendsburg, wo ich mir ein alkoholfreies Bier und eine Wochenzeitung (werde ich dann eh nicht lesen) kaufe. Kurz darauf sitze ich im RE nach Hamburg. Im Kinderabteil. Nur mit Ohropax ertrage ich hier den Geräuschpegel. Auch darauf in der S-Bahn sind die Menschen mir viel zu laut und sowieso. Ich komme gerade aus dem Wald, aus der ruhigen und etwas öden Mitte Schleswig-Holsteins und sitze so unvermittelt im Trubel der Großstadt – da komme ich einfach nicht hinterher.

Danken möchte ich erstmal Bernd und seinem Team für diesen tollen Track – für das Auskundschaften und die ganze Orga! Dann allen lieben Menschen, die unsere Dots verfolgt haben und liebe Nachrichten und Anfeuerungen geschickt haben! Allen Holygravellern für die netten Gespräche während des Pedalierens und dann natürlich meinem Duo Partner für 400 gemeinsame Kilometer!

Alles in Allem eine tolle Erfahrung. Und es stimmt mich positiv zu sehen, dass ich in diesem Jahr viel an Erfahrung gewonnen habe und ziemich gut vorbereitet war. Nächstes Mal ein paar mehr Ersatzteile und eine warme Wechseljacke für die Pausen! Die nächsten Touren schwirren schon durch meinen Fahrradkeller!

Eine Antwort auf „Holy Gravel – Die dritte Etappe“

  1. Sehr schade dass du abbrechen musstest, aber hast ja Recht, ohne funktionierende Bremsen 180km durch die Pampa, das wird nüscht.
    Trotzdem aber großen Respekt! Habe jetzt alle deine Artikel zum Hanse & Holy Gravel durchgelesen und mitgefiebert als würde ich dir auf der Schulter sitzen 😀 und ein klein wenig packt mich auch der Neid. Längere Strecken sind mir nicht fremd, ich bin mit meiner Frau bereits den gesamten Via Claudia Augusta Radweg gefahren und habe im Radurlaub in Südtirol zwei Jochquerungen von insgesamt um die 200km gemacht… Aber solche Kilometerzahlen in der Zeit, und das auch noch durch Schlamm und Schietwetter, da muss man schon mal den Hut ziehen. Weiter so!

    Grüße, Jo

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